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Chapter 96


"Und noch etwas: Der trostlose Zustand der hinterlassenen Kleidungsstücke aller Verschwundenen war ein unantastbarer Beweis für ihre Armut. Und doch hatte jede für längere Zeit die Miete vorausbezahlt. Auch das war auffällig und erweckte ein unbehagliches, unsicheres Gefühl in mir. Da ich aber um jeden Preis an einen Frauenmörder glauben wollte, unterdrückte ich dieses wie jedes andere Bedenken und begann nach einer Fährte zu suchen. Was weiter geschah, habe ich bei meiner gestrigen Vernehmung ausführlich geschildert. Mit unerhörter Ungeschicklichkeit lief mir der, Mann in die Arme, der die Heiratsannonce unter der Chiffre "Jdylle an der Havel" aufgegeben hatte. Mit einer Unvorsichtigkeit, die mir wieder verdächtig erschien. Aber Beweis reihte sich an Beweis, alles stimmte und klappte, das Material war erdrückend, so sehr, daß es jeden Zweifel in mir erstickte. Auf dem Umweg über eine junge Dame, Redaktionssekretärin des "Herold", machte ich die Bekanntschaft des Thomas Hartwig. Diese junge Dame, Fräulein Lotte Fröhlich, wurde von mir in den Fall Hartwig nicht verwickelt. Einerseits, weil ich dies Hartwig bei seiner Verhaftung versprochen, andererseits, weil ich sie für absolut unbeteiligt an den Verbrechen Hartwigs gehalten hatte. Tatsachlich würde sich nicht das geringste geändert haben, wenn ich sie als Zeugin vorgeführt hätte.
Nachdem ich mit Thomas Hartwig eingehend unter falscher Flagge gesprochen und ihn dann verhaftet hatte, waren mir die Motive seines entsetzlichen Handelns ziemlich klar. Ein sentimentaler Mensch, Schwärmer, romantisch veranlagt. Solche Leute sind leicht geneigt, das Unwahrscheinlichste zu tun, Heldentaten ebensogut wie Verbrechen. Sie lassen sich kreuzigen, aber sie sind auch fähig, Bomben zu werfen. Das Besondere an Hartwig aber: Er weiß, daß er ein großer Könner, ein genialer Dichter ist, und sieht dabei keine Möglichkeit, den Wall von Hindernissen, die sich ihm entgegenstellen, zu übersteigen. Sein Buch wird nicht gelesen, sein Stück nicht aufgeführt, er hat kein Geld, oft nicht satt zu essen, ist schwächlich, fühlt, daß er das elende Leben nicht lange ertragen kann, wird von dem Gedanken geschreckt, das Erbteil seiner Mutter, Lungentuberkulose, könnte auch ihn erfassen, wenn er nicht in die Lage kommt, sich kräftig zu nähren, gut zu leben. Dazu kommt noch sein Verhältnis zu Lotte Fröhlich, einem schönen, alle Sinne reizenden, klugen Geschöpf, das er ebenso liebt wie es ihn. Er wird immer verzagter, aber auch seine Entschlossenheit wächst, durch eine Gewalttat seine Lage zu verbessern, so daß er ausharren, seinen Roman und das Drama durchsetzen Lotte heiraten kann. Und da er, wie er mir ja auch im Gespräch sagte, seinen eigenen Wert hoch über den anderer Menschen stellte, war er schließlich zu jedem Verbrechen bereit.
Zu jedem, aber zu welchem Verbrechen? Einen Raubmord begehen — das ist leicht gesagt, aber schwer getan! Zu jedem erträgnisreichen Verbrechen gehören Genossen, Vorschule, besondere verbrecherische Eigenschaften. Nichts von dem hat Hartwig. Und er mag lange genug gegrübelt und nachgedacht haben, bis er auf die entsetzliche Idee kam, sich die leichtesten Opfer, heiratstolle, alleinstehende Mädchen auszusuchen."