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Chapter 13


Am anderen Tag fand Joachim von Dengern, als er nach durchzechter Nacht etwas bleich und zitterig den Dienst antrat, das Bureau in chaotischem Zustand an. Furchtbares hatte sich ereignet! Der Kassenschrank war mittelst primitiver Instrumente erbrochen und seines kostbaren Inhaltes beraubt worden. Dr. Clusius, damals noch gewöhnlicher Kriminalkommissär, führte die Untersuchung und wußte nach knapp einer Stunde genau Bescheid. Nur der Referendar Joachim von Dengern konnte der Täter sein! Er allein hatte von den Millionen im Kassenschrank gewußt, er war allein im Bureau zurückgeblieben, er wußte genau, wo im Vorzimmer auf einem verstaubten Aktenschrank ein Werkzeugkasten stand, mittelst dessen Inhalt, wie einwandfrei nachgewiesen werden konnte, die Herausstemmung der Schloßzunge erfolgt war. Außerdem: Dengern war verschuldet, hatte auf einen neuen Pumpversuch von seinem Bruder einen deutlich abwinkenden Briet erhalten, er führte überhaupt einen sogenannten liederlichen Lebenswandel — kurzum, seine Verhaftung war gerechtfertigt. Wie sehr gerechtfertigt, erwies sich, als man ihn einer Leibesuntersuchung unterzog und in der Innentasche seines Stadtpelzes ein Bündel von Hunderttausendmarkscheinen fand. Unschwer wurde denn auch festgestellt, daß diese Tausendmarkscheine mit jenen übereinstimmten, die Justizrat Rodenbach am Tage vorher als Depot erhalten hatte.
Vergebens beteuerte Joachim von Dengern vor dem Untersuchungsrichter und später vor den Geschwornen, daß er keine Ahnung habe, wie die Tausender in seinen Pelz gekommen seien, vergebens schrie er immer wieder: "Ich bin unschuldig!" Das von Dr. Clusius erbrachte Beweismaterial war zu stark und Dengern wurde zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Ein wenig hart, aber eines aufrechten, charakterfesten Mannes durchaus würdig, hatte sich in dieser Zeit der ältere Bruder Joachims benommen, der auf einen jammervollen Brief, in dem Joachim bei dem Angedenken an seine verstorbenen Eltern und bei seiner Mannesehre seine Unschuld beschwor, nur die kernigen, lapidaren Worte zu erwidern wußte:
"Belästigen Sie mich nicht mehr mit Zuschriften, die ich nur mit Ekel in die Hand nehmen kann. Ich habe keinen Bruder mehr! Mein Bruder ist an dem Tage gestorben, da er meinen Namen mit Schmach bedeckte!"
In den drei langen Zuchthausjahren — ein Jahr wurde ihm seiner guten Führung wegen geschenkt — klebte Joachim Dengern Düten, band Gebetbücher ein, lernte Ösen in Schuhoberteile machen. Und nebenbei dachte er am Tag bei der Arbeit und in der Nacht, wenn das Zuchthaus von den wüsten Träumen der gefesselten Menschen erdröhnte, nach. Immer dachte er an ein und dasselbe: Wie werde ich meine Unschuld erweisen, wie baue ich Tatsachen, Vermutungen, winzige Geschehnisse so auf und zusammen, daß sie dereinst meine Zeugen werden? Im Kopfe setzte er — Papier erhielt er für solch alberne Dinge nicht — die Schrift zusammen, mit der er die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen sich beantragen wollte, und diese Schrift wurde immer umfangreicher, es wurden schließlich hundert Seiten Maschinenschrift, die er jederzeit auswendig hersagen konnte.
Als die drei Jahre um waren, hatte Joachim Dengern die Freiheit wieder und ein paar hundert ersparte Mark und allerlei goldene Sächelchen von früher, die er sofort verkaufte. Und nun entwickelte er eine Tätigkeit, die allein in ihrer Schilderung einen Roman bilden könnte. Er verkroch sich in das Privatleben seines früheren Chefs, des Justizrates Rodenbach, wühlte sich Jahre zurück, umschlich die Frau, die Kinder, das Hausgesinde des Rechtsanwaltes, eruierte, wohin der Trödler den altmodischen Kassenschrank verkauft hatte, den er nach der Affäre vom Justizrat billig bekommen. Er biederte sich mit dem kleinen Kaufmann an, der den Kassenschrank nun besaß, setzte sich durch Bestechung und List in den Besitz des Stemmeisens, mit dem damals die Schloßzunge herausgebrochen worden war. Er verkleidete sich als Botengänger, spielte die Rolle eines Versicherungsagenten auf Leben und Feuer, lernte dadurch die reizende Lolotte vom Elysiumtheater kennen, machte ihr einen Heiratsantrag, der angenommen wurde, spürte ihren Juwelen und deren Quellen nach, mietete mit dem Rest seiner Habe eine alte Kartenaufschlägerin, die zu Lolotte gehen und ihr bestimmte Dinge prophezeien, aber auch bestimmte Angaben dabei entlocken mußte, und als er gerade noch fünf Mark besaß, erschien er eines Tages kreidebleich mit tausend Falten und Fältchen im Gesicht, grau in grau anzusehen, vor dem zum Chef der Kriminalpolizei aufgerückten Dr. Clusius, warf ihm ein Bündel mit hundertfünfzig Seiten Maschinenschrift auf den Tisch schrie keuchend: "Verhaften Sie sofort den alten Schurken Rodenbach, der mich ins Zuchthaus stecken ließ, um seine eigenen Unterschlagungen zu verdecken," und fiel dann ohnmächtig zusammen.
Justizrat Rodenbach erschoß sich, bevor man ihm Handschellen anlegen konnte, und wenige Wochen später wurde im Schwurgerichtssaal in Moabit die Satzschrift des Joachim Dengern vorgelesen, durch hundert Zeugen auf ihre Wahrheit bestätigt, und der Schluß war, daß Joachim Dengern wieder Dr. Joachim von Dengern, von den Zuhörern bejubelt, von den Zeitungen gepriesen und am meisten von Dr. Clusius bewundert wurde. Außerdem erhielt er vom Staat, der sich an den Erben des Justizrates schadlos hielt, ein ganz ansehnliches Vermögen als Entschädigung für die unschuldig verbüßte Zuchthausstrafe und von seinem Bruder eine Depesche mit herzlicher Gratulation, die unerwidert blieb.