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2012 - today
Published by: Rootbook
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Chapter 1

R
OTES KLEIDCHEN stand nun inmitten des blätterduftenden Waldes. "Das muss Wattegras sein", dachte sie sich, ihre nackten Füße so weich auf Seidenmoos gebettet... Sie warf ihren kleinen Kopf nach oben, um nachzuschauen - ja so schnell zu schauen, dass ihre Honighaare gar nicht nachkamen! Selbst Mareike flog nach hinten, ihre lockige Lieblingssträhne, die es so gern hatte, in ihr Gesicht zu hängen und in ihrem kleinen Mündchen namens "Mundi" zu landen... HIhi! Ja. Mundi kaute eigentlich ständig rum auf Mareike.
"Aaaa-ha!", sah sie jetzt, "Pilzkopfförmige Blätter. Sumpfzypressen also über mir!" Hart pieksten die Äste ihr den Rücken. Eben diesen kleinen Rücken hatte sie gerade ganz eng gedrückt an den dicken Stamm eines der fetten, feuchten Bäume hier, die in diesem Waldstück überall rumstanden. Der Purzelwald hatte mehr davon, als sie zählen konnte. So viel wie Sterne am baumverdeckten Himmel! So richtig dichte Purzel-Bäume. Rotes Kleidchen blickte nach vorn: Die Sonnenstrahlen schauten heute in angenehm hellen Lichtsäulen durch deren Sumpfblätter. Sie an. Direkt in ihre grünen Augen! Zumindest würde das dichte Grün etwas von dem kehligen GEGRÖLE dämpfen, das sich - sie hatte noch nicht hingesehen und WOLLTE auch nicht! - von hinten immer weiter annäherte... von hinter ihrem Stamm.
Hundert Lungenzüge später war das Gegröle jetzt sogar noch lauter geworden. "Laut wie Jetgebrüll!", schoss es ihr in den Kopf wie 'ne Mozartkugel durch die Wolken in den Mund! Sie würde sich kein Stück rühren... in diesem TöneSturm.

Bis vor Kurzem war alles noch so schön ruhig gewesen.
So still.
Alles im Forst.
Still wie das Moos, das die meisten feuchten Baumtäler, deren langen braunen Triebe und auch so einig' kalte Wandersteine neben ihr grün und schweigsam bedeckte. Hin und wieder knarzte ein Baum, oder es sprang ein Eichhörnchen von einem Ast zum andern. Die Blätter wankten nur leicht. Es tröpfelte frisch und kühl, und die Luft war feucht wie immer im Wald. Dann plötzlich war der Lärm losgegangen! Zuerst ein ungewohntes Geräusch! Sie hatte sich sofort gegen den nächsten Baumstamm gedrückt und wartete nun schon Hundert Augenschläge... bis es mit einem Mal plötzlich aufhörte! ... Gespannt sah sie zu, wie eine eichelfrische Regentropfin lustig die Wurzl neben ihr herunter rann... Kurz vor dem Fallen blieb sie stehen und glänzte sie feucht an, als ob sie alle Zeit der Welt habe! Hiihi. Wollte sie ihr damit etwas sagen? Plötzlich! fiel sie. Mit großem Gang sank ein Fuß neben ihr in die Erde!! Der Grund erzitterte. Der Baum starkwackelte. Kleidchen zuckte zusammen, fiel fast hin! Ein riesiger Fuß!!! Nicht mal einen Schritt entfernt von der Tropfin, borstig wie ein Wildschwein und groß wie'n Hammerstein! Direkt neben ihr!! Die vier Zehen verweilten einen Schritt - waren dann jedoch genauso plötzlich wieder hinter dem nächsten Baum verschwunden wie'n Kuckuckskopf im Baumloch. BOAAAH! Ein monsunartiger Luftstoß blies ihre Haare horizontal vors Gesicht.
Stille.
Vier Zehen. Vier Zehen? Ein Waldriese! konnte das nur gewesen sein! Dass es die wirklich gab!! "PUH!" Sie hatte es dem Waldkönig nie und nimmer geglaubt. Doch dass sie sich vor diesen schnell, schnell verstecken musste, hatte ihr Papa -der König- KLEIDCHEN immer und immer wieder eingebläut!
Ja, "KLEIDCHEN", so nannte sie Papi seit der Wurzelwiege, "zeige dich niemals einem dieser Bewohner der Kupferberge...oder dein Jammern wird ebenso groß sein wie die haarige Tatzenpratze, die nach dir schlägt, sobald eines dieser Riesenglotzer dich gesehen hat! Oder der VIERZEHIGE Fuß, der dich verwurz-prügelt und in Glitterstäbe aus stahlharten Ästen tritt. Um dich ein feuchtes Morgengrauen danach an heimliche Bezahler mit großen scharfen Mäulern zu verfüttern, die sabbernd in dein Bezahlgitter geführt werden. Um sich an dir zu verzahnen! Dich in den Waldtopf zu stecken! Dich mit bös-brösligem Jasmin zu bestreuen!! Und dich zu fressen!!! Hoo ho. Glaub mir. Eine Prise Salz, eine Wurzelmalz... Da schmeckst du richtig gut; HOHOOO, meine Kleine!"
"Iiiiihi-hi!", kicherte sie angeekelt mit.
"Merk dir meine Worte, mein kleines Smaragd-Äuglein! Denk an deine Zukunft!", sagte er fingergehoben, "Zu teuer bist du mir. Dem ganzen Wald, dem ganzen Königreich, als dass so ein haariger Fuß dich die Prinzessin treffen dürfte!"
Nun. Eben so ein "haariger Fuß" war gerade eben an ihr vorbei gestapfelt! Papa hatte Recht gehabt. Wie immer!
Aber so falkenhaft weise ihr Vater auch im ganzen Purzelwald gepriesen wurde, und so gern sie Papa König und seine luftigen Ratschläge auch mochte: Das alles vermochte nichts gegen die kindliche Neugier, die sie mit größeren und spannenderen Fängen packte als die adlerischste Erinnerung an des Vaters' Worte - und sie trug über die wildesten Wipfel ihres eigenen Selbst.
"Einer Königstochter verbietet man eben nichts ...", dachte sie trotzig. Mundi spitzte sich. Und ihr Köpfchen warf sie nach hinten, so dass die vorwitzige Mareike wieder über "Öhrchen" fiel. Wild! Die lockige honigblonde Lieblingssträhne war heut mal wieder ganz ungehorsam!
"... Genau, einer Prinzessin verbietet man eben nichts. Das hat hoffentlich auch so mancher aufdringliche Geck gemerkt, der neulich waldig mit mir anbandeln mochte" - und dann, nach der langen Warteschlange der ganzen garstigen Werber, wie alle andern Kandidaten enttäuscht vor den Silbermarmortoren des Glitzerreichs ihres Vaters gelandet war. Letzte Woche war das, diese ganze Werberei der Jungs. Sogar von weit her aus dem Maralwald kamen die! Dumme und Schlaue, Filzige und (Kugel)Runde - ALLE schönsten Waldprinzen dieser Welt hatte Papa in den seinen eingeladen - und dafür gar so manche Schatztruhe hatte leeren lassen müssen! Und auch enorm viele Essensschachteln. Aber: Die Gäste brachten auch ebenso viele Geschenke mit an den Hof. Das gleichte es dann wieder über alle Maßen aus: BronzeMünzen, SilberHelme und GoldGeschirr nämlich, mit Tassen aus edelster Keramik. Supa! Alles war dabei. Ihr aber war das ganze Gold egal! Sie ließ es klimpernd zurück fallen in die Edeltruhen, als sie sich vor einem Mond mal kicherheimlich in die Schatzkammer geschlichen hatte...
Sie hatte da nämlich den Schlüssel vom Wärter Kleebart stibitzt...
Etwas war ihr dort in der goldgittrigen Schatzkammer klar geworden: So sehr diese Kammer auch glänzte - Sie hatte lieber die weite Welt vor sich als Tausend Goldstücke und Männerherzen! Viiiel zu jung war sie doch, um jetzt schon versprochen zu werden! Hiihi. Erstmal würde sie schön die Welt erkunden. Sie wartete. Auf sie.
Außerdem hatte KLEIDCHEN großen Hunger. Und der Riese schritt nun mal genau in Richtung der schmackhaftesten lilablaßblauen Debbel-Waldbeeren, die es im ganzen Wald zu fressen gab! Ihr Magen knurrte-schnurrte schon wie ein Schnabbel-Dabbelhahn.
"KNURRRRRRR!"
"Pssst! Sei still!", entfuhr es ihr. Schnell presste sie die Hand auf Mundi. Doch der Boden zitterte nur noch leicht...
Ja, all diese Gedanken mischten sich in KLEIDCHEN. So stieß sie sich mit dem Rücken von ihrem Stamm ab und lupfte ihr Kleid und hupfte mit watteweichen, klitze Schrittchen, hihi, dem Riesen nach...

Nach einer Weile merkte sie, dass ebender so gar nicht recht leicht einzuholen war, wie sie sich das erst gedacht hatte. Zu oft purzelte sie über eine Wurzel. Wurzelbäume mehr und mehr, hart wie Bimsstein und hoch wie der höchste Weihnachtsbaum des Königreichs!! Diesen Bereich des Waldes kannte sie nicht. Immer nur sah sie des Riesen dummen rechten Schuh, hinter einem knorrigen Baumstamm, diesen riesigen schwarzen Teerschuh - PFUI! -, oder auch mal den wollegrünen linken Schuh, der bestückt war mit Ziegenleder und einer zwei Schritt hohen, in allen Farben leuchtenden und nach jahrzehntealtem Malz duftenden Feder - die wiederum aus klitzekleinen, perlmutenen Honigpfauenfedern bestand. "Puh! Huii!" Ihre Lunge schmerzte schon. Doch auf einmal, als sie schon voller Puste dachte, sie würde aufhören zu laufen, auf einmal... da blieb der Riese stehen.
Und war nun ganz GROß vor ihr.
Auch KLEIDCHEN hielt inne. Sie versuchte jetzt, ganz still zu sein und bloß, ja nicht zu atmen! Langsam sah sie nach oben. Ein riesiger Speicheltropfen tropfte von oben auf sie zu! Schnell! Sie sprang. Schmiegte sich erneut an den nächstbesten Stamm. Nach etwas Warten lugte sie ihr Köpfchen langsam hervor ... sich...tig... Oh! MMMMmmmmh! Die blauen Pilz-Debbeln waren jetzt nur noch zwei Ärmchen entfernt, sie streckte aus, sie war jetzt... ganz... nah... dran. Ihre kurzen Finger kamen aber doch noch nicht dran! Die Debbeln hatten nämlich kleine Füßchen, die ständig umherstapften, was die Sache umso schwieriger machte... Schneehelle und flitzeschnelle Sträucher waren es, die unter einem kleinen Grüppchen Sumpfzypressen standen. Die zwanzig Prinzessinnenkörper hoch... Sollte sie...
SCHLAG! Mit schnellem "KRACH!" wuchtete eine Pratze eine DAVON aus dem Boden. Direkt vor ihr! Kleidchen erschrak. und sprang schnell ein Stück von ihrem Baum weg. Das hätte ebenso gut ihr eigener Stamm sein können! "MAAAAAAAax!", brüllte es plötzlich so lauthals und jung und putz... ää pustig durch den Wald, dass sich KLEIDCHEN einen Teil ihres Kleidchens ROT in die Ohren stopfen musste - das ihr dank dem fauligen Odem zusammen mit ein paar ZilpZalp-Tannenzapfen ins Gesicht geblasen wurde. Sie wischte sich die feuchten Backen ab und rappelte sich auf. "Iiiih! Das ist dann wohl sein Name!? Hiiiiiiihih! Wie kurz und klein für einen Riesen! Däs ist doch wohl'n Scherz?"

Auch war KLEIDCHEN bei der ganzen Aufregung noch gar nicht aufgefallen, wie denn jetzt eigentlich ihr bisheriger Weg durch den Wald verlaufen war. Und dass sie beide, das ungleiche Paar, jetzt bereits am lichten Waldrande angelangt waren. Am... "WALDRANDE"! Auch dorthin, so hatte es ihr der Vater eingebläut, dürfe sie niemals gehen, sonst würde sie sich verirren. "Am besten gar nicht dran denken", so erinnerte sie sich etwas düster hinter einer bunten Wolke aus herrlich grünen Gedanken... Denn hinter dem Waldrand liege "die STADT"! Dort würden die Städter hausen, "grimmige Gesellen" in den Butterreichen. Doch woher wollte Papa das schon wissen? Und was wollte der Riese da überhaupt, in der Stadt dort drüben? Sie sah in der Ferne die steinernen Türme der Stadt aufragen. "Hmhmhm", klang und funkte es laut und neu und gierig in ihrem kleinen Gehirn. Naja, für ihr Alter war es wohl doch schon ziemlich groß, fand Kleidchen selber. Größer als ein Dooohlenhirn, sagte Mami, eine Nymphe, immer. Hiihi! Aber war drin eben immer nur Pilz... äääh Platz für eine Sache. Die Debbeln und der superhungerige Magen waren jedenfalls schnell wie ein Unterlidschlag und vollkommen vergessen! Denn vor ihr lag ein riiieselgroßes Tal mit duftenden Haselflockenbäumen, donnernden Wasserfällen und einer ebenso großen Wiese voller körniger, weiziger Heidekräuterchen und -gräser! Eine Ziegenkräuterheide! Und mitten drauf.. der RIESE!, der lauthals vorwärts stampfte. Ein irrwürziges Bild: Erst jetzt erkannte sie seine wahre Größe. Vierzehn Schritt mochte er schon messen, und hatte raue Fingerkuppen, lang wie ihre Wirbelsäule! Wie sie beide auf dieser Wiese für die anderen Wiesen-Wesen wohl aussehen mochten? Sie, die kleine, und er, der Große? Bestimmt sehr lustig! Eine weite Schürze aus gehobelten Tannenzweigen schlang sich eng um seine Hüfte. Und auf seinem Kopf räkelte und sonnte sich ein für seine Verhältnisse recht kleiner, ulkig bunter Federhut mit feinen Äuglein aus Mistelzweigen, die kleine feine Beinchen hatten und darauf dauernd von einer Seite des Hutes zur anderen wanderten! Hundert Kartoffeln hingen an Seilen von seinen breiten Schultern, schlugen bei jedem Schritt gegen die mächtigen haarigen Beine. Sein Oberkörper aber war nackig. "KICHER!" KLEIDCHEN konnte sich's gar nicht verkneifen...sie musste einfach lauthals glucksen! Dieser Hut, die Kartoffeln, dieser ganze riesige Riese drumrum, das sah doch gar zu komisch aus! Im allergleichsten Moment... stoppte der Riese.