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Chapter 85


Einer der Geschwornen, ein Mann mit einem Vogelgesicht und Entenschnabel, derselbe, der vorhin vom Unterbewußtsein gesprochen hatte, erhob sich.
"Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich eine Frage an die Frau Zeugin richte?"
"Sicher, es freut mich sogar, wenn die Herren Geschwornen in die Verhandlung eingreifen."
Der Entenschnabel öffnete sich wieder.
"Also, Frau Armbruster, können Sie uns sagen, wie Herr Hartwig gekleidet war, wenn er solche Tagesausflüge unternahm?"
Jawohl, Frau Armbruster konnte. "Nu, einen dunkeljrünen Sportanzug trug er, einen Plüschhut, derbe Stiefel mit doppelter Sohle und so 'nen Rucksack, wie ihn jetzt die Leute immer tragen."
Heiterkeit, Bewegung, Unruhe. Der Entenschnabel sagte "Nun also!" und klappte dann zu, der Verteidiger schrumpfte ein und zog sich wie ein begossener Pudel auf seinen Stuhl zurück. Zwei aber lächelten vor sich hin: Der Kriminalkommissär Dengern und der Angeklagte Hartwig.
Die zurückgelassenen Habseligkeiten der verschwundenen Frauen wurden auf dem Gerichtstisch ausgebreitet, elendes, schäbiges Zeug, zertretene Schuhe, Strümpfe mit Löchern, billige Wäschestücke ohne Märke, Barchent, Baumwolle, Flanell. Man tuschelte und lächelte im Auditorium. Ein als Witzbold bekannter Schriftsteller flüsterte einer berühmten Schauspielerin zu:
"Pfui Deibel! Mit solchen Weibern Liebesstunden feiern, bevor man sie abmurxt! Und so was hat die Frechheit, Romane und Stücke zu schreiben!"
Die Künstlerin kicherte. "Wenn mich einmal einer umbringt, so werden andere Sachen vor Gericht erscheinen. Sogar meine Zofe darf nur Batist tragen!"
Nun wurden die Briefe der Todesopfer verlesen, die sie auf die Annonce Hartwigs geschrieben hatten. Sie machten dann die Runde; jeder der zwölf Geschwornen bekam alle fünf in die Hände. Lauernd blickte Dengern drein. Aber auch das ging ohne Zwischenfall vorüber.
Die von der Verteidigung geladenen Entlastungszeugen marschierten an. Lehrer, Jugendfreunde, Studienkollegen Hartwigs. Übereinstimmend erklärten sie, Hartwig als grundgütigen, ein wenig romantischen, schwärmerischen Menschen gekannt zu haben, dem Übeltaten nie und nimmer zuzutrauen gewesen wären. Ein alter Professor, der in Köln acht Jahre hindurch Lehrer Hartwigs gewesen war, sagte:
"Nach bestem Wissen und Gewissen kann ich nur sagen, daß ich Hartwig nicht nur keines raffinierten Verbrechens, sondern überhaupt keiner unehrenhaften, gewinnsüchtigen Handlung fähig gehalten hätte. Allenfalls einer Jähzornstat. Ich erinnere, wie er einmal, er dürfte vierzehn Jahre alt gewesen sein, in einem öffentlichen Park sich plötzlich auf einen wesentlich größeren und stärkeren Jungen warf, sich in ihn verkrallte, ihn biß und so übel zurichtete, daß der Überfallene verbunden werden mußte. Die Untersuchung ergab aber, daß Hartwig beobachtet hatte, wie dieser Bursche einer gefangenen Feldmaus mit seinem Taschenmesser die Augen ausstach. Mir ist dieser Vorfall lebhaft in Erinnerung, denn ich mußte meine ganze Autorität einsetzen, um Hartwig vor Karzer zu bewahren."
Der Präsident trommelte ungeduldig mit der Bleifeder auf den Tisch.