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Chapter 3

I
n einer kühlen Nacht - ihr Vater war schon vor Stunden zu Bett gegangen - hielt ein kleines Fläschchen noch Zafiras Aufmerksamkeit gefangen. Einer der Sklavengräber hatte es heute Vormittag in der Ausgrabungsstätte "Morgenholzgube" gefunden. Zwischen zwei verrotteten Ellenknochen war es gelegen, und kaum länger als ihr Ringfinger! Der Sklave hatte es auch schlagartig gemeldet und, da sie zufällig für ihre heute wiedermal allzu brünstige Schwester Mediha als Oberaufseherin eingesprungen war, war es letztendlich in ihren Besitz gelangt. Nur Glück! Schließlich war ihre Schwester eigentlich für diese Aufgabe federführend. Sie hatte den Trägern der Sänfte dann befohlen, die grünen Seidenvorhänge zu schließen, und, dass sie keine Störung in der nächsten Stunde wünsche! Auf den roten Satinkissen der Sänfte hatte sie sich das Fläschchen genauer angesehen: Es war aus Bernsteinkristall. Aber nicht irgendein Bernstein! Sondern solch reiner, wie man ihn in den alten Kristallnebelwäldern findet, jene Wälder, in denen die Bäume dreihundert Jahre alt und die Gräser fünfzig Schritt hoch wurden! Ein korkener, daumendicker Pfropfen verschloss braun die obere Öffnung. Diese war im Vergleich zum Durchmesser der Bernsteinhülle um die Hälfte verjüngt. Zafirah hatte sich dann sofort ihre geheimste Truhe vom Palast an die Grube bringen lassen und das Fläschchen sicher darin eingesperrt. Seitdem waren ihre Sinne, ja all ihre Gedanken... geradezu fixiert. Wennimmer sie an etwas anderes dachte, erschien das Bild des Fläschchens vor ihren Augen - Sie konnte einfach nicht aufhören, an das Gefäß zu denken, das jetzt, im grellen Mondlicht, immer noch in der Truhe neben ihrem Bett lag! Sie wollte es riechen, sehen, schmecken...

Verdammt! Sie würde das Fläschchen jetzt aufmachen! Die Neugier hatte ihre Geduld gepackt - und jämmerlich besiegt! Zafirah sprang auf von ihrem großen flachen Himmelbett, stellte die Truhe von unter dem Bett auf das seidenblaue Laken, leckte den feinen Goldschlüssel ab, stieß ihn ins Schloss und drehte ... um! Vorsichtig und mit beiden Händen klappte sie den Deckel nach hinten...
Das Fläschchen schien jetzt dunkelhell bläulich im zauberhaften Mondlicht, ihr entgegen. Ganz ungewöhnlich für Bernstein! Es musste der Inhalt selbst sein, der dieses Blau bewirkte! Zafirah schnupperte. "Hm. Riecht nach Nichts... Nnna gut!" Sie atmete tief durch, fasste ihren gesamten Mut und zog den Pfropfen mit einem schnellen "Blupp!" - aus der Öffnung! Nichts passierte. Ein Augenschlag. Zwei Augenschläge. Nichts!
"SCHUUUUU!" Beim dritten Augenschlag jedoch wurden auf einmal die transparenten Vorhänge ihres Bettes weggeweht. Und explosionsartig weggerissen! Zafirah selbst wurde mit großem Brüllen des Windes nach hinten geworfen...
Ein Sturm!

Als sie wieder aufstand - unverletzt - und sich die Augen rubbelte und das Laken von sich warf, schwebte eine beinahe durchsichtige Gestalt vor ihr. Sie war sicher zweimal so groß wie sie selbst, bläulich schimmernd, muskulös und hatte laaange, blonde Haare. Ein weiblicher Flaschengeist! "WASSSSS ist dein Begeehr?", donnerte eine Stimme wie von tausendweit entfernt. Zafirah bibberte und kroch ein Stück nach hinten. Das war ihr zu laut! Der Geist würde das halbe Haus aufwecken, bevor sie antworten konnte! "Mein Begehr? Mein Begehr ist, dass du leiser sprichst!", zischte-flüsterte sie, so laut sie eben flüstern konnte. Als nichts passierte, stemmte sie -mehr ängstlich als forsch- ihre Arme in die Hüften.
"Wie ihr wünscht, Herrin!", sprach der Geist - jetzt leiser - und verschwand rasend schnelle "wie Gazelle" in der Flasche mit der Nacht.
"WAAS?" Zafirah konnte es nicht glauben. DAS war alles? So hatte sie sich den bewegendsten Moment in ihrem Leben nicht vorgestellt! Der Geist mochte ein böses Spiel mit ihr spielen! Normal sollen Geister doch so mächtige Gehilfen sein!?? Sie fühlte sich betrogen. Und etwas ihrer Angst ging dadurch in diesem Moment verloren.
"Du Schuft! Komm wieder heraus! Ich bin noch nicht fertig mit dir!" Sie zeigte wild auf das Gefäß.
Verwirrender Rauch trat aus der Flasche. Nach einem Augenschlag war der blaue Geist wieder da und schwebte in alter Größe vor ihr.
"Ja, Herrin?" Die Phiole war wieder glasbraun. Zafirah überlegte. Sie würde ihre Worte deutlicher wählen.
"Mächtiger Geist in Frauengestalt! Kannst du mich von diesem Ort wegbringen? Mein Vater will mich verheiraten. Mein fetter Verlobter mich meiner Unschuld berauben! Ich will hier fort!"
"Wie ihr wünscht, Herrin!", sagte der Geist knapp.
Und mit einem Mal wurde Zafirah hochgehoben! Fast ließ sie dabei die Zauberflasche in ihrer rechten Hand fallen. Und ehe sie es sich versah, schwebte sie auf einer Wolke über den goldgelben Lehmdächern des dunklen Palastes - mit nichts mehr als ihrem Hauch von Nachtkleid. Wie romantisch!